Peter Boltersdorf muss es wissen.

Bei Mainz 05 hat er Jürgen Klopp drei Jahre lang als Motivationsberater begleitet und dabei auch den Aufstieg in die Bundesliga mitgemacht. Ein Trainerwechsel in Dortmund ist für ihn kein Thema. Boltersdorf fragt im 'INterview der Woche': "Ist das Team noch das richtige für Klopp?"

Eurosport

Das Interview führte Sven Busch

Elf Niederlagen, nur 18 BVB-Tore in 19 Bundesliga-Spielen, in der Champions League souverän ins Achtelfinale, in der Liga Existenzangst - was ist nur mit Borussia Dortmund los?

Peter Boltersdorf: "Dortmund erlebt ein Phänomen, dass der Verein am eigenen Erfolg zu ersticken droht. Die Spieler haben über mehrere Jahre großen Erfolg gehabt, dabei sind viele an ihr Leistungslimit gegangen, haben die Anstrengungen und Belastungen aber nicht als solche empfunden. Alles war easy und ging wie von selbst. Durch Abgänge, Qualitätsverlust, Verletzungen und Misserfolge spüren sie auf einmal, dass es sie mental sehr anstrengt, wieder auf dieses Leistungsniveau zu kommen. Das klappt nicht auf Knopfdruck und die Spieler merken, dass es ihnen trotz tierischer Anstrengung nicht gelingt. Genausowenig wie sich die Spieler vorher den Erfolg wirklich erklären konnten, können sie sich jetzt den Misserfolg erklären. Sie machen alles genauso wie früher, betreiben den gleichen Riesen-Aufwand, aber es kommt nicht der gleiche Erfolg heraus. Dieser Prozess ist schwer zu brechen. Da ist der Druck, das geringe Selbstvertrauen und das Unverständnis über die eigene schlechte Leistung. Jeder spielt mit einem Zitterfuß. Der Misserfolg bringt eine unglaubliche Dramatik mit sich."

Und Misserfolg erfordert besondere Maßnahmen. Die BVB-Verantwortlichen stellen Trainer Jürgen Klopp nicht in Frage. Inwieweit hat sich Klopp beim BVB vielleicht ein Stück weit verbraucht?

Boltersdorf: "Klopp ist mental sehr stark. Ich kenne nicht viele Trainer, die in dieser Situation besser wären als er. Ein Trainerwechsel wäre für mich keine Alternative."

 

Dortmund ist Letzter, kriselt vor sich hin und hinkt den eigenen Ansprüchen als Spitzenmannschaft weit hinterher...

Boltersdorf: "Statistisch gesehen funktionieren nur 50 Prozent aller Trainerwechsel. Das gilt auch für Dortmund. Der Teamgeist scheint unter den gegebenen Umständen in Ordnung zu sein. Wie ich höre, machen sich die Dortmunder Spieler gegenseitig keine Vorwürfe. Der Leistungswille ist stark, aber die Leistungen sind es nicht."

Und das ist ein Fall für den Trainer, dessen Mannschaft es in der Liga seit Monaten nicht schafft, wenigstens annähernd ihr Potenzial zu zeigen. Nochmal die Frage: Ist Klopp - auch unter Berücksichtigung seiner bemerkenswerten Erfolge in Dortmund - noch der richtige Trainer für den BVB?

Boltersdorf: "Klopp ist für die Gesamtsituation Dortmund auf jeden Fall der richtige Trainer. Die Frage wäre eher, ist das Team noch das richtige für Klopp?"

Mitten in der Saison die gesamte Mannschaft auszutauschen, wäre schwierig. Die Mannschaft ist doch das Werk von Klopp.

Boltersdorf: "Die Mannschaft ist ein Werk des gesamten Umfelds. Es sind Spieler gegangen, die man gerne gehalten hätte. Die Frage ist, kann die derzeitige Mannschaft die Intensität und Stabilität, die der Trainer vorlebt, noch mitgehen?"

Aber bedeutet diese Frage nicht, dass Mannschaft und Trainer keine Einheit sind?

Boltersdorf: "Der Anspruch des Trainers kann von der Mannschaft offensichtlich zur Zeit nicht mitgegangen werden. Es geht darum, die Mannschaft mental wieder dahinzubringen, Erfolg zu haben. Und Jürgen Klopp hat die Fähigkeiten, die Kreativität, die Offenheit und die Flexiblität, genau das zu erreichen."

Klopp gilt als Motivationsgenie und Super-Psychologe. Was würden Sie ihm in der derzeitigen Situation raten?

Boltersdorf: "Man müsste mit jedem Spieler individuell arbeiten, aber der Liga-Alltag lässt eine intensive Einzelbeschäftigung nicht zu. Mentale Stärke wäre für mich bei der Aufstellung mitentscheidend. Ich würde bewusst die Spieler einsetzen, die mental sehr stark sind und mit der belastenden Situation gut umgehen können. Diese Spieler würde ich fußballerisch besseren momentan sogar vorziehen. Zudem gibt es glaube ich im Juniorenbereich beim BVB ein paar Rohdiamanten, die man jetzt bringen könnte, weil sie trotz ihre Jugend mental so stabil sind, dass sie in dieser Situation unbeschwert auftreten könnten."

Fehlt Klopp vielleicht der Mut, diese Maßnahmen zu ergreifen?

Boltersdorf: "Es ist oft schwierig, die mentale Stärke eines Fußballers richtig einzuschätzen. Die wahre mentale Stärke eines Spielers zeigt sich erst im Wettkampf und nicht im Training und auch nicht, wenn alles läuft und die Siege ganz einfach sind. Die derzeitige Drucksituation wird für den BVB sicher noch größer werden, aber ich bin sicher, Dortmund steigt definitiv nicht ab."

Zur Person:

Peter Boltersdorf (62) hat beim FSV Mainz 05 unter Klopp als Motivationsberater gearbeitet und in dieser Zeit den Bundesliga-Aufstieg und das erste Jahr in der deutsche Eliteklasse miterlebt. Zudem war er bei Schalke 04, Hannover 96 und Alemannia Aachen beschäftigt. Im Nicht-Fußballbereich fungierte er als Berater der Handball-Nationalmannschaft beim WM-Triumph 2007 und unterstützte Gewichtheber-Bundestrainer Ernst Mantek beim Olympiasieg von Matthias Steiner 2008 in Peking. Boltersdorf ist Dozent an der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes in Köln.

Das Interview finden Sie auch hier: Link

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